Keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ohne ausreichende Ermittlungen

In einem Strafverfahren steht unser Mandant, ein Berufskraftfahrer, im Verdacht, nach Verursachung eines Zusammenstoßes mit einem Pkw sich unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. § 69 Absatz 2 Nummer 3 StGB bestimmt, dass in einem solchen Fall, wenn an einer fremden Sache ein bedeutender Schaden entstanden ist, (neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe) auch die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Der Begriff des „bedeutenden Schadens“ wird unterschiedlich ausgelegt und je nach Gerichtsbezirk zwischen 1.300 und 2.500 Euro festgelegt. Über § 111a Absatz 1 Satz 1 StPO ist die Fahrerlaubnisentziehung auch schon vor Abschluss des Strafverfahrens möglich, um kurzfristig verhindern zu können, dass der Beschuldigter weiterhin Fahrzeuge im Straßenverkehr führt. Erforderlich ist dann aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es später zu einer entsprechenden Verurteilung kommen wird.

Auf diese Weise wurde bei unserem Mandanten verfahren. Problematisch war hier vor allem, dass die genaue Schadenshöhe unklar war. Es lag lediglich eine Schadensschätzung durch die Polizei vor, aber kein Gutachten, keine Reparaturrechnung oder ähnliches. Das Amtsgericht hatte deshalb die von der Polizei angenommene Schadenshöhe übernommen, ohne diese näher zu prüfen und auf dieser Basis die Fahrerlaubnis des Mandanten vorläufig entzogen. Nach Einlegung einer Beschwerde hatte das Landgericht diese Entscheidung bestätigt.

Nachdem der Mandant sich entschieden hat, gegen diese Entscheidungen Verfassungsbeschwerde zu erheben, hat der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung erst einmal (bis über die Verfassungsbeschwerde endgültig entschieden ist) gestoppt. Zur Begründung führte er u. a. aus, „auch vorläufige Eingriffe in Freiheitsrechte können nicht mit vagen Annahmen und nicht näher plausibilisierten oder angreifbaren Schätzungen von Strafverfolgungsbehörden gerechtfertigt werden, sondern bedürfen einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage.“ Es bestünden somit zumindest Zweifel, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis derzeit mit den Vorgaben der Verfassung vereinbar sei. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Mandant den Straßenverkehr durch die ihm zumindest vorübergehend wieder ermöglichte Teilnahme gefährden würde; umgekehrt werde der Mandant als Berufskraftfahrer durch die Fahrerlaubnismaßnahmen massiv in seinen Rechten beeinträchtigt.

Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Beschluss vom 08.11.2022 – Lv 13/22

 

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