Erst vor Kurzem stand das vor allem bei Städten und Gemeinden beliebte Infrarot-Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV3 in der Kritik: Verschiedene Sachverständige konnten nachweisen, dass das Gerät in bestimmten Situationen deutlich zu hohe Geschwindigkeit errechnet: Zwei dieser Geräte wurden versuchsweise nebeneinander aufgebaut und bei der Messung desselben Fahrzeugs zur selben Zeit zeigte ein Gerät 125 km/h, das andere 141 km/h. Der Hersteller und die Zulassungsbehörde (Physikalisch-Technische Bundesanstalt) mussten deshalb Ende letzten Jahres reagieren und die Auswerterichtlinien verschärfen, damit Messungen in besonders fehleranfälligen Situationen nicht mehr verwertet werden.
Messfehler trotz neuer Richtlinien möglich
Jetzt zeichnet sich ab, dass dies vermutlich nicht ausreicht: In einer neuen Veröffentlichung weisen Sachverständige darauf hin, dass auch bei Fahrzeugfotos, die selbst nach den strengeren Auswerterichtlinien verwertbar wären, zu hohe Messergebnisse angezeigt werden.
Hiervon erlangte die PTB am vergangenen Freitag Kenntnis und informierte umgehend den Hersteller und die Eichämter. Noch am selben Tag bat der Hersteller die Betreiber des Messgeräts, vorerst keine Messungen mehr mit dem Gerät durchzuführen. In seiner Mail heißt es:
"Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen. Wir werden uns nach Veröffentlichung der finalen Prüfergebnisse der PTB unverzüglich wieder bei Ihnen melden. Wir sind uns der Tragweite unseres Schreibens bewusst, sehen jedoch in der Sache keine andere Entscheidungsoption, da es uns als Ihr seit vielen Jahrzehnten zuverlässiger und seriöser Partner darauf ankommt, den rechtssicheren Einsatz unserer Produkte im Verkehrsüberwachungsbereich unter allen Umständen zu gewährleisten. (...)"
Wo wird überall mit dem Gerät "geblitzt"?
Bislang wird dieser Gerätetyp in ganz Deutschland eingesetzt. Gerade hier im Saarland ist er sowohl bei Kommunen als auch bei der Polizei weit verbreitet, ebenso in Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen. Aber auch in den meisten anderen Bundesländern wird das Gerät verwendet. Auf Grund der E-Mail der Firma Leivtec ist aber davon auszugehen, dass diese Geschwindigkeitsmessungen in nächster Zeit nicht mehr durchgeführt werden können.
Was passiert jetzt in laufenden Verfahren?
Die PTB und der Hersteller schweigen allerdings darüber, was in bereits laufenden Bußgeldverfahren passieren soll. Bislang wurde Leivtec XV3 von Behörden und Gerichten als standardisiertes Messverfahren anerkannt. Voraussetzung dafür wäre aber, dass "unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind". Dies ist bei Leivtec XV3 nach den neuen Erkenntnissen voraussichtlich nicht der Fall, so dass bisherige Messungen nach unserer Ansicht derzeit nicht mehr ohne Weiteres verwertet werden dürfen. Stattdessen müssen die Verfahren entweder eingestellt werden oder ein Sachverständiger muss in jedem einzelnen Fall prüfen, ob die jeweilige Messung in Ordnung war. Dies wiederum wird dadurch erschwert, dass Leivtec XV3 nicht genügend Daten speichert, mit denen eine Messung im Nachhinein rekonstruiert werden könnte.
Was ist Betroffenen zu raten?
Wer mit dem Gerät gemessen wurde und deshalb eine Anhörung oder einen Bußgeldbescheid erhält, sollte deshalb jetzt einen Einspruch prüfen, gerade wenn man der Meinung ist, nicht so schnell wie vorgeworfen gefahren zu sein. Die Erfolgschancen hierfür sind auf Grund der neuen Erkenntnisse nun nochmals höher als bisher: Mit anwaltlicher Hilfe kann Akteneinsicht beantragt und geprüft werden, ob das Gerät Leivtec XV3 verwendet wurde (meist wird dies bereits in der Anhörung/dem Bußgeldbescheid angegeben) und die Auswerterichtlinien eingehalten wurden, was vielfach nicht der Fall ist und in der Regel ohne Weiteres zur Einstellung des Bußgeldverfahrens führt. Selbst wenn sie eingehalten wurden, kann aktuell nicht sicher gesagt werden, ob die Messung korrekt erfolgt ist.