Streit um Rohmessdaten erreicht Bundesgerichtshof

Es gibt noch immer keine Einigkeit in der Justiz, inwieweit nachträglich Rohmessdaten von Geschwindigkeitsmessungen zur Verfügung stehen müssen, um diese im Nachhinein zu überprüfen. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hatte das 2019 gefordert. Denn nur so könnten Betroffene erkennen und nachweisen, falls ein Messgerät fehlerhaft gearbeitet hat. Die deutschen Oberlandesgerichte außerhalb des Saarlandes sowie einige Landesverfassungsgerichte halten das nicht für erforderlich: Da die in Deutschland verwendeten Messgeräte hohen Anforderungen genügten und regelmäßig geeicht würden, sei ein faires Verfahren auch dann möglich, wenn die Geräte die Rohmessdaten einzelner Messungen löschen und damit die Messungen selbst nicht überprüfbar sind. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich skeptisch, ohne sich in der Sache festzulegen. Das Saarländische Oberlandesgericht in Saarbrücken sah sich zuletzt an die Entscheidungen des saarländischen Verfassungsgerichts gebunden.

Dies führt zu einer Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung: Während ein Betroffener bei einer hohen Geschwindigkeitsüberschreitung etwa in Rheinland-Pfalz mit einer hohen Geldbuße und unter Umständen mehreren Monaten Fahrverbot zu rechnen hat, muss nur einige Kilometer weiter im Saarland ein entsprechendes Verfahren mit der gleichen Messung oft eingestellt werden. Denn mittlerweile speichern viele verwendete Blitzeranlagen keine Rohmessdaten (mehr), sondern löschen diese nach Abschluss der Messung und speichern nur das Endergebnis. Betroffenen wird hierdurch eine Verteidigung ohne ausreichenden Grund massiv erschwert, was rechtsstaatlich zumindest nicht unproblematisch erscheint. Ein Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt führte kürzlich aus: „Wenn einmal für die hoheitliche Erkenntnisgewinnung Verfahren der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ (KI) eingesetzt werden, deren Ergebnisse nicht mehr algorithmisch nachvollziehbar sind, wird es neuer Ansätze für eine Sicherstellung des Beweiswerts bedürfen. Wenn nun schon bei algorithmischer Datenverarbeitung die Transparenz der Datengrundlage vernachlässigt würde, riskierte das eine künftig möglicherweise entscheidende Weiche falsch zu stellen.“

Das Saarländische Oberlandesgericht möchte diese Rechtsunsicherheit auflösen und hat nun ein bei ihm anhängiges Rechtsbeschwerdeverfahren dem Bundesgerichtshof vorgelegt (Link zum Beschluss am Ende des Beitrags). Dieser als höchstes deutsches Fachgericht für Straf- bzw. Bußgeldsachen kann die Rechtsfrage klären und somit eine bundesweit einheitliche Rechtsprechung wiederherstellen. In seinem 28-seitigen Beschluss vom 10.04.2025 geht es ausführlich auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes ein, welche zu dem Messsystem Jenoptik TraffiStar S 350 ergangen war. Es führt aus, dass es ein im vergangenen Jahr ergangenes Urteil unseres Mandanten nach der saarländischen Rechtsauffassung aufheben müsste. Dort kam das deutschlandweit häufig verwendete Messgerät Vitronic PoliScan FM1 zum Einsatz. Hierzu hat das Oberlandesgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt, aus dem hervorgeht, dass dieses Gerät keinerlei Rohmessdaten speichert und auch keine anderen Möglichkeiten bestehen, das Messergebnis im Nachhinein konkret zu überprüfen. Lägen die Rohmessdaten noch vor, wäre das aber möglich.

Der neue Beschluss aus Saarbrücken ist ausführlich und überzeugend begründet. Viele andere Oberlandesgerichte haben bisher die Forderungen nach Rohmessdaten nicht ernst genommen und sich auf technische Einschätzungen gestützt, wonach eine Auswertung von Rohmessdaten angeblich sinnlos sein soll, weil die verwendeten Messgeräte ohnehin fehlerfrei seien und Rohmessdaten für eine nachträgliche Überprüfung nicht geeignet seien. Aus dem vom Saarländischen Oberlandesgericht eingeholten Gutachten geht nun – ebenso wie aus den Gutachten, die seinerzeit der Verfassungsgerichtshof eingeholt hatte – das Gegenteil hervor.

Mit einer Entscheidung wird voraussichtlich in einigen Monaten zu rechnen sein.

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